Materialbegegnung
Am Anfang gab es für mich eine Herausforderung in der Keramikwerkstatt - die Glasurherstellung. Glasuren werden normalerweise sehr schematisch, festen Rezepten folgend, angefertigt. Es ist ein Gefühl wie in einem Chemielabor: Die Rohstoffe sind industriell verarbeitete, hochreine Stoffe, die aufs Milligramm genau abgewogen werden. Mit Laborwaage und Maske bewaffnet, müssen die Formeln exakt befolgt werden. Es ist eine Arbeit, die mir nicht liegt.
Umso schöner war die Entdeckung, dass ich auch einen anderen Weg einschlagen kann, einen experimentellen, kreativen Pfad. Ich folge Oberflächen, die mir in der Natur begegnen, sehe meine Umgebung als Einladung und stelle Neugierde vor funktionalen Ergebnissen. Ich erkunde Materialien, Strukturen, Farben. Mit drei grundlegenden Materialkategorien kann ich wild drauf los experimentieren und simple, nachhaltige Glasuren entstehen lassen. Der große Unterschied zu vorher: Nicht ich gebe die Farbpalette vor, sondern das Material, was ich nutze.
Ich habe die Materialrecherche als kreative Praxis aufgenommen. Es ist eine Möglichkeit neue Ausdrucksformen in meinem Alltag zu finden. Den Blick für Material in der eigenen Umgebung zu schärfen, bedeutet, in einen Dialog mit der Umwelt zu treten. Es eröffnen sich andere Perspektiven. Ich lerne immer wieder, „dass das, was ich sehe, davon abhängt, wie ich hinschaue und wie lange“ (aus “Nichts tun” von Jenny Odell).
Während ich diesen Text schreibe, bin ich gerade nicht in meiner Werkstatt, nicht von Steilküsten, wabernden Quallen und dem Farbspiel des Wassers umgeben, sondern von hohen Häusern in Berlin. Und natürlich begleitet mich auch hier die Materialrecherche.
Ich frage mich: Was passiert, wenn ich die Kieselsteine einsammel und in Ton einarbeite? Welche Oberflächenstruktur entsteht? Schmilzt dabei etwas und legt sich eine glasurartige Verbindung zwischen Ton und Stein? Explodiert der Stein im Ofen? Kann ich ihn beim Brennen zersetzen und pulverisierten Stein als Glasur auftragen?
Die Neugierde, das explorative Arbeiten, Inspirationen sammeln und Ausprobieren, das sind Leitlinien für mich und für meine Angebote dieses Jahr. Im Sommer lädt der Foerdeofen nach Flensburg zum Entdecken von Wildton ein und in regelmäßigen Abständen bieten wir Kurse zu nachhaltigen Glasuren an. Bei beiden Formaten geht es nicht nur um das Kennenlernen von Material, sondern auch darum Prozesse kreativ und experimentell zu gestalten.
Materialbegegnungen in Berlin:
Zurückgebliebene Tannenbäume am Fußweg
Kieselsteinchen, funktionsloses Streugut nach weggeschmolzenem Schnee
Eingetrocknete Weinranken an hohen Fassaden
Matschige Laubblätter
Glasscherben, von Sonnenstrahlen angeleuchtet
angeleuchteter Sternenhimmel (ungreifbar?)
Schneereste